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  • riffellotti

Ich bin Corinna

Aktualisiert: 22. Nov. 2020

Die Leute gingen ihres Weges, so wie sie es jeden Tag taten. Im Großraumbüro wustelte es nur so vor sich hin, sodass zwischen Diskussion, Telefonklingeln und Tastaturgeklacker die eigenen Gedanken kaum mehr zu hören waren. Für ein „Gesundheit“ war bei einem heuschnupfartigen Nieser kaum mehr Zeit, denn im Burnout-Büro wurde so sehr auf das effiziente Wirtschaften geachtet, dass der Schreibtischkollege einer nichtssagenden Martrikelnummer glich und von den graugefärbten, von Kaffeerändern zersetzten Laminatschreibtischen kaum zu unterscheiden war.


So kam es eines Tages dazu, dass sich die neue Corinna vorstellte. Eine zierliche Dame, deren unerwartete Erscheinung, wie eine von Neonlicht durchzogene Farbexplosion, jegliche Form der Aufmerksamkeit auf sich zog. Ihr Äußeres hatte etwas unwahrscheinlich Zartes, geradezu Puppenähnliches an sich, und doch ließ sich auf den zweiten Blick die Härte eines fein geschliffenen Diamanten hinter ihren pechschwarzen Augen erkennen – perfekt konstruiert und unzerstörbar. Ihr von seidig schwarzem Haar umrandetes Gesicht besaß warmweiche Züge, deren messerscharfe Kieferpartie einen absoluten Kontrast darstellten. Kombiniert mit ihren in Seidenstrümpfen gezierten Beinen, schwarzen Lackpumps und, von rotem Lippenstift umrandeten, perfekten Lächeln, glich sie dem Vorzeigebild einer Karrierefrau, die unumstritten als modische Schaufensterpuppe hätte werben können – makellos und anziehend.


Der erste Kontakt des blankpolierten Pfennigabsatzes mit dem heruntergekommenen Teppichboden hätte unpassender nicht sein können und brachte vermutlich gerade deshalb die aufgebauschte Seifenblase ungeschonter Neugierde, der sich das aufgehorchte Büro mit blanken Blicken ausgesetzt hatten, zum Zerplatzen. Ertappt, teils beschämt, von ihrem kindlichen Staunen, wandten sich unzählige Augenpaare ab und zurück zu den weiterlaufenden Zahlen auf ihrem Bildschirm. Unzählige Augenpaare; abgesehen von einem pechschwarzen, das zielstrebig auf den leergeräumten Stuhl im gläsernen Chefbüro blickte.


Wie ein bedrohliches Donnern hallten die gedämpften Absatzgeräusche durch den vollgestopften Raum, bis sich Corinna behutsam auf dem großen Drehstuhl niederließ.


In den darauffolgenden Tagen geschahen einige Veränderungen, die stetig über Nacht zu erfolgen schienen, da die Überraschung ausschließlich am Morgen ihren Ausdruck fand. Die sonst so durchsichtigen Wände des einzelnen Zimmers am Ende der Durchgangspassage, waren nun mit undurchsichtigen Vorhängejalousien verziert, sodass die einzigen Informationen, über das Vorgehen im Inneren, dumpfen Geräuschen maßgeblicher Umbauarbeiten entsprachen. Abgesehen davon wurden laminierte Schilder angebracht, die das Essen und Trinken sowie das Mitnehmen von Haustieren nur unter strengen Maßnahmen und in abgegrenzten Bereichen erlaubten. So durften beispielsweise Hunde, unabhängig von ihrer Größe und Art, nur mit speziellem Maulkorb eintreten und mussten sich im Vorhinein diverser Reinigungsrituale unterziehen. Unterlagen, die zuvor als unwichtig eingeordnet waren, schienen nun als untypisch relevant kategorisiert und mussten der neuen Geschäftsführung vorgelegt werden.


Selbst, als die dumpfen Laute des Umbaus verstummten, und die Geräuschverteilung wieder dem penetranten Tastaturgeklacker zuteil wurde, blieb Corinnas Bürotür verschlossen. Alles wurde einkassiert, aber nichts preisgegeben. Gesehen hatte sie seit der ersten Begegnung kaum jemand, da sie es pflegte ihren Arbeitsalltag früher zu beginnen und später zu beenden, als es für die Martrikelnummern üblich war. Wie eine unerschöpfliche Arbeitsmaschine stellte sie das bisherige Konzept der Wirtschaftsriesen auf den Kopf, zerpflückte gewohnte Strategien in die Moleküle ihrer Grundgedanken und überschrieb das Alte unwiderruflich mit Neuem. Corinna brachte keine Veränderung, sie war sie in Person.


Einige graugefärbte Schreibtischbesetzter des Großraumbüros wollten sich mit den neuen Maßnahmen nicht abfinden – es hatte bisher schließlich immer funktioniert, weshalb gerade jetzt der „wind of change“? Die Folgen zeigten sich wenig später in umgeschriebenen, Stunden reduzierten, Dienstplänen der Kritiker. Das heimliche Getuschel, das sich stets hinter dem Geklapper der alten, verdreckten Filterkaffeemaschine versteckt hatte, war im Zuge der Veränderung zunehmen Lauter geworden, doch auch dieses Verstumme, sobald auch nur die Spitze eines schwarzen Lackschuhs aufblitzte. Ab der ersten Sekunde von Corinnas Anwesenheit waren Fragen aufgetaucht, die, ähnlich wie die strukturlosen, undurchdringlichen Stapel grauer Bürokratie, niemand beantworten konnte. Niemand wusste wer diese Frau war, wer sie geschickt hatte oder worin der Grund ihrer Anwesenheit bestand. Alles was sie berührte, alles was in ihr Sichtfeld fiel, verwelkte binnen weniger Augenblicke. All die gewohnte Strategien, Verfahren und Denkweisen, um den vermeintlichen Fehler zu beseitigen, schienen nicht mehr zu funktionieren. Die alten Raster waren eingestaubt, bereit ersetzt zu werden und doch mit äußerster Vorsicht zu behandeln. Die Situation war wie eine tickende Zeitbombe im Porzellanladen. Alles wartete auf die Explosion und das darauffolgende Chaos zielloser Anarchie. Geredet wurde von A bis B, doch C blieb verschwiegen.


Unter den Umständen wurde gelitten. Die Martrikelnummern verblassten nach und nach und was blieb waren leere Bürostühle, dunkle Bildschirme, die Spitze eines schwarzen Lackschuhs und die Frage, was jetzt kommen würde.


-Fortsetzung folgt-

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